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(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe 24 / November-Dezember 2012

Ein Staatenbericht als „Nation Branding“?“
[Nation Branding” (Ulus Markalaþmasý)
Bir Devletler Raporu mu?]

Prof. Dr. Wolfgang SCHNEIDER
(Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Inhaber des UNESCO-Chair „Cultural Policy for the Arts in Development)



Prof. Dr. Wolfgang SCHNEIDER

    Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt und der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen sind in Deutschland Grundlage der Kulturpolitik der Kommunen, der Länder und des Bundes. Zur Ausformulierung der deutschen Position zu dem "Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" hat die Deutsche UNESCO-Kommission Anfang 2004 – unter Einbindung der Zivilgesellschaft – eine Bundesweite Koalition Kulturelle Vielfalt gegründet. Diese begleitet seitdem die Umsetzung des Übereinkommens mit einer jährlichen Arbeitskonsultation, um aktuelle Entwicklungen der Umsetzung des Übereinkommens zur Diskussion zu stellen, nationale und internationale Erfahrungen auszutauschen und zu erarbeiten, was für Bund, Länder, Kommunen und Kulturakteure daraus folgen wird. In der Bundesweiten Koalition Kulturelle Vielfalt sind Experten aus Kultur, Verbänden, Parteien, Wirtschaft, Kommunen, öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Forschung und Publizistik vertreten.

    Die Bundesrepublik hat Ende April 2012 den ersten Staatenbericht Deutschlands über "Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens von 2005" bei der UNESCO eingereicht. Der Bericht informiert alle vier Jahre über Projekte und Programme auf nationaler und internationaler Ebene und über deren Wirkung und Ergebnisse.

    Es geht um kulturpolitische Maßnahmen für die Künste, für Rundfunk, Fernsehen und Internet, um Kultur- und Kreativwirtschaft sowie um Kulturelle Bildung. Es geht außerdem um die „Bewusstseinsbildung und Beteiligung der Zivilgesellschaft“, um den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, um die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen, mit denen Zuwanderung auch als bereicherndes kulturelles Phänomen zu gestalten wäre. Es geht aber auch um Herausforderungen bei der Umsetzung des Übereinkommens, um Förderinstrumente und kulturelle Infrastrukturen, um „Integration der Kultur in Strategien nachhaltiger Entwicklung“.

    Positiv-Liste statt Defizit-Diskurs

    So weit, so gut. Der Außenminister positioniert sich mit dem Staatenbericht in der Staatengemeinschaft. Schließlich versteht sich die Bundesrepublik Deutschland als Kulturnation. Des Außenamts Bestandsaufnahme ist deshalb positivistisch formuliert. Stolz werden Daten und Fakten gelistet, Beispiele an Beispiele gereiht, Best Practise-Modelle dokumentiert. In der vorgegebenen Kürze scheint deshalb kein Platz für die schlechten Nachrichten, die prekären Arbeitsverhältnisse von Künstlern, die kommunalen Kürzungen bei der freiwilligen Leistung Kultur, die Defizite bei der kulturellen Teilhabe. Das ist aber nicht im Sinne einer kritischen Aufarbeitung!

    Im Staatenbericht wird die Theaterlandschaft mit beeindruckender Empirie beschrieben. Die Grundlage liefert aber einzig und allein die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins. Die Zahlen bedürfen deshalb der Überprüfung, die Definition von Theater wäre zu konkretisieren, die Vielfalt der dramatischen Künste zu komplementieren. Es gibt neben den Stadt- und Staatstheatern auch eine große Landschaft freier Theater, es gibt neben den Theatern mit Ensemble und Repertoire auch Kulturzentren, Tanz- und Theaterhäuser mit einem breiten Angebot an Gastspielen, es gibt neben dem professionellen Theater auch eine reichhaltige Szene mit Amateurtheater - allesamt auch mit guten Beispielen für kulturelle Vielfalt. Während das Personal in Ballett, Oper und Orchester durchaus als international bezeichnet werden kann, sind die Schauspielensembles weniger multiethnisch besetzt, weshalb die Ausbildungssituation hierfür verbesserungswürdig ist und überhaupt eine Reform des Theaters zu mehr Interkulturalität ansteht.

    In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, auch auf die besonderen Leistungen der Kinder- und Jugendtheater zu würdigen. In den Schulvorstellungen kommen vor allem in den Städten meist mehr als 50 % der jungen Zuschauer aus Familien mit Migrationshintergrund, in vielen Inszenierungen wird die kulturelle Vielfalt inhaltlich und ästhetisch thematisiert, in den theaterpädagogischen Programmen sind es vielfach interkulturelle Erfahrungen, die vermittelt werden. Die Kinder- und Jugendtheater pflegen zudem den internationalen Austausch mit mehr als einem Drittel der Stücke aus anderen Kulturen, in Festivals mit Gastspielen aus dem Ausland und in internationalen Koproduktionen. Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland als Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, gefördert vom Bundesjugendministerium, dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main, verleiht den einzigen Staatspreis für dramatische Kinder- und Jugendliteratur, veranstaltet das Deutsche Kinder- und Jugendtheater-Treffen "Augenblick Mal!" als Biennale in Berlin und setzt mit Projekten wie "Theater von Anfang an" Akzente in der theatralen Bildung. Die ASSITEJ Deutschland e.V. als Rechtsträger ist weltweit in mehr als 80 Länder vernetzt und befördert den Austausch von Theaterkünstlern.

    Forschung und Lehre kommen im Bericht nicht vor. Dabei sind es auch die Hochschulen, die zur kulturellen Vielfalt beitragen - durch Forschungen zum Thema, durch interkulturelle Curricula in der Lehre und durch einen regen internationalen Austausch. Allein die kleine Universität Hildesheim pflegt zu über 100 Partneruniversitäten in aller Welt Beziehungen, fördert den Studierenden - und Dozierendenaustausch, etablierte im Berichtszeitraum erstmals Professuren in Deutschland zu Diversity Education und Kultureller Bildung sowie das Center for World Music inklusive eines Studiengangs zur interkulturellen Musikerziehung.

    Die Beiträge aus der Zivilgesellschaft beschränken sich fast ausschließlich auf die ausführliche Erwähnung eines Aktionstages des Deutschen Kulturrates unter dem Motto „Kultur gut stärken“. Die Feierlichkeiten zum Tag der kulturellen Vielfalt können selbstverständlich auch quantitativ erfasst werden. Eine Aktion ist aber immer nur so gut, wie sie nachhaltig Wirkungen erzielt. Die kommunalen Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Förderungen der kulturellen Vielfalt in den Gemeinden und Kreisen oft Opfer der so genannten Sparkommissare und dass Projekte und Programme gekürzt werden. Kulturpolitik gilt immer noch als freiwillige Aufgabe, kulturelle Vielfalt braucht aber auch eine vielfältige Förderlandschaft, die vor allem außerhalb der Städte wegzubrechen droht.

    Kulturen der Welt vor Ort

    Die Komplexität städtischer Kulturlandschaften erfordert neue kommunalpolitische Strategien. Städte und Gemeinden stehen in besonderer Verantwortung, die kulturelle Vielfalt zu schützen und zu fördern. In den Städten und Gemeinden sind die unterschiedlichen Dimensionen der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in besonderer Weise wahrnehmbar. Auf der einen Seite steht die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturakteure in der Stadt: die Künstler, die Akteure der Zivilgesellschaft, der öffentlichen Hand und der Kulturwirtschaft. Auf der anderen Seite steht die Heterogenität der Stadtbevölkerung selbst, das heißt die Vielfalt und kulturelle Vielfalt als das zentrale Wesensmerkmal der (Stadt-)Gesellschaft. Die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist in der Stadtöffentlichkeit in doppeltem Sinne existent und virulent; zum Einen in Bezug auf die stetig wachsende Komplexität städtischer Kulturlandschaften und zum Anderen vor dem Hintergrund der – auch stetig wachsenden – Diversifizierung der Stadtgesellschaft. Dementsprechend ist kommunale Politik mehr und mehr gefordert, neue Antworten auf die sich rasch verändernden urbanen Realitäten zu finden. In der Stadt sind die Kulturen der Welt „vor Ort“. Hier wird die Vielfalt kultureller und künstlerischer Ausdrucksformen anschaulich und erfahrbar. Die Vielfalt besteht in unterschiedlichen, sich manchmal miteinander verbindenden kulturellen Inhalten und neuartigen oder ungewohnten künstlerischen Ausdrucksformen.

    Kulturelle Vielfalt gibt Impulse, so dass neue, andere, hybride künstlerische Formate entstehen. Städte und Gemeinden sind heute geprägt von „örtlicher Internationalität“. Als Lebensorte der Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen stehen die Kommunen in besonderer Verantwortung, auch diese Aspekte der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu schützen und zu fördern. Die „Stadt von heute“ begreift sich als europäischer und internationaler Wirtschaftsstandort. Die Internationalisierung durch kulturelle, wirtschaftliche und soziale Verflechtungen nach außen bedingt eine Internationalisierung im Sinne einer kulturellen Öffnung nach innen.

    Kommunalpolitisch entscheidend wird sein, ob das kulturelle Angebot in unseren Städten und Gemeinden die transkulturellen Erfahrungen eines wachsenden Anteils der Bevölkerung aufgreift und ob es gelingt, die noch bestehende Distanz zwischen Anbietern und Rezipienten von Kunst durch überzeugende Angebote, Formate und neue Kommunikationswege zu überwinden. Dazu bedarf es der empirischen und kulturwissenschaftlichen Forschung, der Sichtbarmachung bereits bestehender Netzwerke, der aktiven Personalentwicklung mit Aus- und Weiterbildung und der Netzwerkbildung von der lokalen bis hin zur internationalen Ebene. Höchst relevant ist, dass sich die Kommunen dem Aufgabenfeld „Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in der Stadtöffentlichkeit“ nähern und diese Veränderungsprozesse unter Beteiligung aller Kulturakteure in den Städten und Gemeinden mit Zielvorstellungen und Kalender initiiert und realisiert werden. Inwiefern dies bestimmte Instrumente, wie etwa Leitbilder, Strategiepapiere, öffentliche Debatten etc. bevorzugt, bleibt zu befragen.

    Die niedersächsische Kulturministerin Professorin Dr. Johanna Wanka betonte im Kontext des ersten InterKulturBarometers 2012, dass „kulturelle Partizipation (…) ein wichtiger Schlüsselfaktor für die gesellschaftliche Integration [ist], der bislang unterschätzt wurde. (…) Es hat sich gezeigt, dass Migrationserfahrungen und die aktuelle Lebenssituation dann als sehr positiv empfunden werden, wenn eine tatsächliche Teilnahme am kulturellen Geschehen der Region stattfindet.“

    Dies begründet letztlich Wegweiser für die Entwicklung eines »Bundesweiten Eckpunkteplans« bis zum zweiten deutschen Umsetzungsbericht 2016, wie er von der Deutschen UNESCO-Kommission angestrebt wird. Ein wesentlicher Schritt darin ist die Ausweitung von Forschungsprojekten. Das InterKulturBarometer des Zentrums für Kulturforschung hat eine erste Grundlagenanalyse geschaffen. Ebenso begleiten Kulturentwicklungsplanungen verschiedene Diskussionsprozesse, die auch das Thema kulturelle Vielfalt streifen. Doch das Entstehen von Strukturen, die Bedeutung von Nachhaltigkeit und die Vertiefung von Fragen zu Qualität und Erfolg mit Hinblick auf gesellschaftspolitische Wirkungen wurden hier bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Was es braucht ist eine analytische Perspektive der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft auf die Prozesse von kultureller Vielfalt in Deutschland und auf die kommunale Ebene, was es braucht sind interkulturelle Implementierungsverfahren in Stadt und Land, was es braucht ist „Good Governance“ durch „Cultural Diversity Watch“.